5a. Wilhelm Ernst Eduard Engellenner (1868–1911)

Wilhelm Ernst Eduard (* 7.6.1868) spielt für mich und meine Familie eine wichtige Rolle. Er steht am 14. Januar 1911 in Kiel vor Gericht und erklärt, dass er der Vater des Kindes Jacob Karl Friedrich ist. Das Kind wurde am 4. November 1910 in Stade geboren – von der Handarbeitslehrerin Friederike Karoline Christine Engellenner. Die ist aber nicht seine Frau, sondern seine Cousine! Sie ist die Tochter des Maurers und Arbeitsmanns Jacob Karl Friedrich Engellenner (* 11. Dezember 1850, + 18. Dezember 1935) und die Enkelin des gleichen Ernst Christian Bartholin Engellenner, der auch der Großvater von Wilhelm Ernst Eduard ist! Das Kind wird später seinen Namen ändern und heißt bald Jacob Karl Friedrich Reincke, denn seine Mutter heiratet den Schleswiger Fischer Claus Friedrich Matthias Adolf Reincke (* 1. Mai 1890, + 5. Februar 1953), der auf dem Holm zuhause ist. Viele Jahre später heiratet er Edith Wilhelmine Marie Muhl und wird der Vater von zwei Kindern. Der Verfasser dieser Zeilen ist einer der Enkel von Jacob und Edith.

Der Amtsrichter am königlichen Amtsgericht in Kiel verpflichtet Wilhelm Ernst Eduard Engellenner, ab sofort und bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres seines unehelichen Kindes vierteljährlich und im Voraus eine Geldrente von 60 Mark zu zahlen. In den dann folgenden Jahren sind es 45 Mark. Er muss auch die Kosten des Gerichtsverfahrens tragen. Wilhelm erklärt, dass er seit fünf Monaten krank und arbeitslos ist und daher einstweilen nichts zahlen kann. Zu dieser Zeit, also 1911, verdient ein ungelernter Arbeiter etwa 27 Mark pro Woche, also ungefähr 100 Mark im Monat. Davon muss er nun 20 Mark monatlich zurücklegen (20 % des Einkommens), um sein Kind und die Frau zu unterstützen (1 Mark in 1911 entspricht etwa 5 Euro nach heutiger Kaufkraft). Für 4 bis 7 Mark konnte man 1911 bei Karstadt Knaben-Sport-Blusen kaufen, für 9 bis 18 Mark bekam man einen Knaben-Blusen-Anzug. Ein guter Kinder-Strohhut kostete bis zu 2,50 Mark. Für Wilhelm muss also diese Gerichtsentscheidung ein finanzielles Disaster gewesen sein.

Seit 1902 ist Wilhelm in Kiel, wohnt zunächst in der Metzstraße 45 (in der Nähe des Wilhelmsplatzes). Dann zieht er fast jedes Jahr um, in die Wik am Kaiser-Wilhelm-Kanal (heute Nord-Ostsee-Kanal), dann wieder in die Nähe des Kieler Zentrums. Laut dem Adressbuch 1910 wohnt er in der Eckernförder Straße 22 (heute ein Teil der Kronshagener Straße). Dann, es ist 1911, verschwindet er aus dem Adressbuch. Aber an der gleichen Adresse wohnt nun eine Frau: Sara Engellenner, Wittwe! Offenbar ist Wilhelm tot. Aber er hinterlässt eine Frau. Er war also verheiratet und hatte gerade ein Kind mit seiner Cousine. Wie konnte es dazu kommen?

Es gibt zwei Todesanzeigen in den “Kieler Neuesten Nachrichten”, am 9. Juni und am 10. Juni 1911. Zunächst wird hier klar, dass Wilhelm als Vorarbeiter gearbeitet hat und wohl schon länger krank war. Die Firma Carl Jaspersen ist eine Baumaterialienhandlung und Eisenhandlung. Sie vertritt die Mettlacher Mosaik- und Tonwarenfabriken von Villeroy & Boch und liegt in der Muhliusstraße 40/44 (1907 wohnt Wilhelm in der Muhliusstraße 74). Aus der Todesanzeige der Familie ist zu sehen, dass Wilhelm Geschwister hatte. Über sie wissen wir nichts.


(Todesanzeigen in den Kieler Nachrichten vom 9. und 10. Juni 1911)

Wir wissen aber, dass Karl Reincke und Edith Muhl im Jahr 1937 heiraten wollen. Dazu brauchen sie einen Ariernachweis, denn es ist die Zeit des Naziregimes. Sie fragen in Kiel nach dem Verbleib von Wilhelm, dem leiblichen Vater von Karl, von dem sie nur wissen, dass er dort zuletzt wohnte und wahrscheinlich ebenda 1911 gestorben ist. Die staatliche Polizeiverwaltung schreibt zurück, dass sie nicht wissen wann er gestoben ist und berichten, dass die Familie sich 1913 nach Schottland abgemeldet haben soll. Doch wer ist diese Familie? Ist es nicht nur seine Frau Sara? Tatsächlich stellt sich heraus, dass Sara bereits Ende 1911 mit dem Schiff “Immingham” der Hamburg-Amerika-Linie (HAPAG) von Hamburg nach Grimsby in England reist. Sie ist aber nicht allein. Mit ihr reisen drei Kinder: Ernst (14 Jahre), Thomas (13 Jahre) und Sara (10 Jahre). Wilhelm hatte also Kinder! Aber hier, in Grimsby, verliert sich die Spur …

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