Eine lange Reise

Die Geschichte, die hier vorläufig in Grimsby endet, beginnt tatsächlich viel früher als 1902 in Kiel. Es stellt sich heraus, dass Wilhelm bereits 1891, mit 22 Jahren, in Kiel ist. Da reist er nach Hamburg und geht am 26. März 1891 an Bord des Schiffes “Bohemia” der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG). Die Reise geht nach Amerika! Dort trifft er am 11. April in New York ein. In der Zeit von 1891 bis 1900 kommen über 3,5 Millionen Einwanderer in die USA. Einer davon ist offenbar Wilhelm. Er selbst steht nur mit dem Namen Ernst Engellenner auf der Passagierliste. Er geht nach Brooklyn, das zu dieser Zeit ein ausgeprägtes Arbeiterquartier ist, und trifft dort eine Frau: Sarah. Sie wurde wohl am 21. Februar 1866 in Cashel in Irland geboren und ist ebenfalls in die USA ausgewandert. Nach ihrer eigenen Aussage trifft sie 1894 in New York ein. Schon ein Jahr später sind die zwei verheiratet. Am 20. Juni 1895 geht ein William E. E. Engellenner mit einer Sarah Battle in Brooklyn die Ehe ein! Es dauert nicht lange und am 8. Dezember 1897 kommt ihr erster Sohn zur Welt, den sie Ernest Adam nennen. Wilhelm, der sich hier ja Ernst nennt, arbeitet zu dieser Zeit als Zimmermann, die Familie wohnt im Haus Nummer 558 der 17ten Straße in Brooklyn. Kurze Zeit später folgen weitere Kinder: James Thomas wird am 22. Juni 1899 und Sarah am 1. Mai 1901 geboren. Im Jahr 1989 hat Wilhelm Ernst den Beruf gewechselt. Er steht nun als Ernest im Adressbuch von Brooklyn, hat also seinen Namen bereits amerikanisiert und ist nun “motorman”, also Wagenführer. Das ist die Bezeichnung für die Führer von elektrischen Wagen, Straßenbahnen oder Lokomotiven. Ernest und seine Familie sind 1900 in der Volkszählung der USA zu finden. Dort gibt er selbst an, bereits 1888 in die USA eingewandert zu sein und als Schlachter zu arbeiten. 1902 bekommt die Familie noch ein Kind. Im Geburtenregister steht für den 22. September die Geburt eines Mädchens: Margaret.

Im gleichen Jahr 1902 taucht Wilhelm Ernst aber, wie erwähnt, wieder in Kiel auf. Er wohnt, wahrscheinlich zusammen mit seiner jungen Familie, in der Metzstraße 45. Die Zeit zwischen 1902 und 1911 verbringen Wilhelm Ernst, Sarah und die Kinder also wohl in Kiel. Als Sarah nach dem Tod von Wilhelm Ernst nach England ausreist, ist die Tochter Margaret nicht dabei. Sie steht nicht auf der Passagierliste und wird wohl gestorben sein.

Damit schließt sich der Kreis. Es ist unbekannt, warum Wilhelm und Sarah, die erst unabhängig voneinander nach Amerika ausgewandert sind und dort heiraten und eine Familie gründen, wieder nach Europa zurückkehren. Vielleicht waren die Bedingungen in den USA doch nicht so einfach, wie angenommen? Vielleicht ist die Tochter Margaret bereits in Brooklyn gestorben? Wie kam es, dass Wilhelm seine Kusine traf und aus der Affäre ein Kind hervorkam? Wusste Sarah überhaupt davon? Wir wissen es nicht.

Karl Reincke hatte also, wohl ohne es jemals selbst zu wissen, 4 weitere Halbgeschwister: Ernest Adam, James Thomas, Sarah und Margaret. Sie sind damit gleichzeitig meine “Halb-Großonkel” und “Halb-Großtanten”. Die nicht wirklich ernst gemeinte Idee meines Vater, als ich begann die Geschichte meine Familie zu erforschen “Vielleicht habe ich ja einen Onkel in Amerika” hat sich also in überraschender und unerwarteter Weise fast bewahrheitet!

Weiter: Der Sohn James Thomas