Wiehnachten

(Ein Artikel aus Otto Mensings “Schleswig-Holsteinisches Wörterbuch” von 1934)

Wiehnachten1 = „Weihnachten”.

Alter Dativ Plur. Fem. (eigentlich „zu den weihen Nachten” = „in den heiligen Nächten”) als Nominativ gebraucht, noch jetzt als Plural empfunden (nix to Peepernööten, de Wiehnachten sünd ut2), daneben aber bereits zum Singular umgestaltet (de Wiehnacht is ut), im Volksmund auch zum Maskulinum geworden (dat weer ‘n slechten Wiehnachen3: „gedenkst du noch an einen Weihnachten?”), immer, wenn es „Weihnachtsgeschenk” bedeutet (he hett ‘n schönen Wiehnachen kreegen).

Dat Jahr is narrms so lang, Wiehnachten is ümmer to kort4

Dat süht ut na en düstere Wiehnachten (Schweres steht bevor; sprichwörtlich)
(Angeln)

Dat beetert sik as de Schiet to (de Dreck vör) Wiehnachten5

Häufige Wetterregel:

Witte Wiehnachten, gröne Ostern; gröne Wiehnachten, witte Ostern6

En gröne Wiehnachten, en soore Paasch7

Seltener:

En dunkle Wiehnachten, en helle Schüün; en helle Wiehnachten, en dunkle Schüün8 (Hollingstedt)

Scherzhaft als Abweisung auf die Frage: Wo is de her?

5 Mielen achter Wiehnachten9
(Flensburg)

Auf die Frage: Wonehr weer dat?

Dat weer twischen Wiehnachten un Eckernför10

Bräuche

1. Vorweihnachten (Adventszeit)

Am 1. Advent steckt man an ein Tannenbäumchen ein Licht und singt dazu Adventslieder; an jedem folgenden Advent wird ein Licht hinzugefügt. Am Nikolaustag (6. Dezember) oder in den letzten Tagen vor Weihnachten stellen die Kinder einen Schuh, einen Pantoffel, einen Stiefel, eine Mütze oder einen Teller vor das Fenster oder vor die Schlafstubentür oder unter das Bett in der Hoffnung, am nächsten Morgen kleine Gaben darin vorzufinden11.

In einigen Gegenden (Süderdithmarschen) wird ein Strumpf vor das Fenster gehängt. In der Adventszeit ziehen Kinder ärmerer Leute (früher auch Erwachsene) von Haus zu Haus und singen vor der Tür oder auf der Diele ihr Lied, um Gaben einzusammeln. Sie bitten um en beeten to Wiehnachten oder um en Wiehnachtsstuut (Angeln) oder en Pummel (Fehmarn).

In Dithmarschen hieß das beeden12 oder jetzt umsingen13. Der Bittspruch hieß:

Arm Lüüd ni ‘n beeten mitdelen? Lewer Gott seegent rikelt un duppelt weller14

Der Bauer oder seine Frau stand selbst auf der Diele hinter dem Tisch und teilte die Gaben aus. Vielfach wurden diese Spenden als ein Anrecht betrachtet. Die Bitte hieß:

Ik wull mien Geld giern afhalen
(Eiderstedt)

In den Tagen vor Weihnachten erscheinen auch Kinder mit dem Rummelpott15 und die Steernlöper16. In der Adventszeit wurde überall geschlachtet, gebacken und gebraut. Unter dem Gebäck spielte das Figurenbrot17 eine große Rolle. Braune Kuchen18 werden noch heute in vielen Familien meist nach überliefertem Rezept hergestellt. In den letzten Tagen erscheinen unter dem Fenster vermummte Gestalten mit einer Glocke und fragen, ob die Kinder auch artig gewesen sind und was sie sich wünschen (Nordfriesland).

Früher pflegten in den letzten Tagen vor Weihnachten die Kaufleute ihre Kunden zu beschenken.

2. Weihnachtsabend

Mit Dunkelwerden wurde das Festgericht verzehrt, bei dem jeder soviel essen durfte, wie er konnte. Daher hieß der Weihnachtsabend (wie auch der Neujahrsabend) Vullbuuksabend19. In den Städten gab es Karpfen und hinterher Förtchen20; auf dem Lande Stockfisch und dicken Reis (mit ‘n düchtigen Botterpool in ‘e Merrn un mit Kaneel un Sucker bestreit) (Norderdithmarschen) und dann ebenfalls Förtchen oder es gab bunten Mehlbeutel mit gekochtem Schinken. Zum Essen wurde vom Bauern auch der Schuljunge eingeladen, der im nächsten Sommer als Junge dienen sollte (Scherrebek).

Vor der Bescherung werden die Kinder in ein dunkles Zimmer eingesperrt, und ein Klingelzeichen ruft sie dann ins Festzimmer; s. Kling-geest21. Vor Einführung des Weihnachtsbaumes wurden im Festzimmer, und teilweise auch schon beim Essen Leuchter aufgestellt mit einer Hauptkerze in der Mitte und drei Seitenarmen22. Die Lichter waren mit buntem Papier geschmückt23 (Grötlicht). Über die Einführung des Weihnachtsbaums im 19. Jahrhundert: siehe Dannenboom24.Vor der Bescherung brachten die Kinder einen Eimer Wasser und ein Bündel Heu auf die Hofstelle für den Esel des Knecht Ruppert (Angeln, Norderdithmarschen). Auch die Tiere im Stall be- kamen an diesem Abend besonders gutes und reichliches Futter25 (Fehmarn, Norderdithmarschen). Auch stellte man vor die Krippe ein Licht26 (Pinneberg).

Zuweilen wurde nach Eintritt der Dunkelheit auch geschossen (Stormarn). In einigen Gegenden Schleswigs wurde am Weihnachtsabend ein großes Wagenrad ins Dorf gerollt („Weihnachten einrollen27“). Im Kloster Preetz wurde noch nach der Reformation in der Christnacht Gottesdienst abgehalten, bei dem von den Klosterfräulein das Christkind gewiegt wurde. Als man den Brauch abschaffen wollte, ereignete sich die bei Müllenhoff28 verzeichnete Sage.

Nach dem Essen wurde das Weihnachtsevangelium und zuweilen noch ein Stück aus der Hauspostille gelesen. Dann wurde ein Gesang gesungen. Darauf wurde um Pfeffernüsse und Äpfel Karten gespielt.

Am Weihnachtsabend darf die Hausfrau nicht aufstehen, weil sonst die Hühner nicht gut brüten (Bornhöved). Um zwölf ging man in den Stall, um zu sehen, ob die Kühe zu Ehren des Christkindes aufstehen würden (Norderdithmarschen29)

3. Weihnachtstage

Am Weihnachtsmorgen begrüßte man sich:

Ik wünsch en fröhliche Wiehnachten, veel Glück un Seegen un Sundheit un ok en fröhli tokamen Niejahr

und mit dem Dank:

Dank, datsülvige wedder
(Westschleswig)

Auf Helgoland:

Unse Vader, unse Moder, unse Kinder, unse Frunde gode Gesundheit, Gott gley unse Frunde und stuer unse Fiende30*

Allgemein war der Kirchgang. Als Weihnachtsessen gab es Langkohl mit Speck (Swienskopp) oder Mulebrood31. In den Festtagen besuchte man sich gegenseitig und spielte mancherlei Spiele um Pfeffernüsse32. Im Wirtshaus wurde um große Rosinenstuten gespielt (Angeln). In der Weihnachtszeit durfte kein Bekannter fortgehen, ohne etwas genossen zu haben, weil er sonst die Weihnacht aus dem Hause tragen würde. Der Tag nach Weihnachten hieß Afsettddag33.

4. Lieder zu Weihnacht

Juchhe, morgen is Wiehnachten!
Denn köfft mien Vadder ‘n Hering.
Mien Mudder kriggt den Kopp,
mien Vadder kriggt dat Middelstück,
mien Swester kriggt den Steert
un ik krieg de Röögen.
Juchhe, morgen is Wiehnachten.

Verbreiteter ist:

Wenn ‘t Wiehnachten is,
wenn ‘t Wiehnachten is,
denn slacht mien Vadder de Bock34

Aberglaube

Kinder, die am Weihnachtsabend geboren werden, leben nicht lange (Ostholstein). Wer in der Weihnachtsnacht zwischen 12 und 1 geboren wird, bekommt die Gabe des zweiten Gesichts35. In der Weihnachtsnacht kann man den Zukünftigen sehen. Wenn ein Mädchen zwischen 12 und 1 Uhr drei Gläser, eins mit Wasser, eins mit Bier und eins mit Wein auf den Tisch stellt, so wird ihr Zukünftiger kommen. Trinkt er das Wasser, so wird er arm sein. Nimmt er das Bier, so ist er wohlhabend. Trinkt er den Wein, so ist er reich (Holstein36). Um 12 Uhr muss ein Mädchen zwei Lichter in die Hand nehmen und in den Spiegel sehen, dann wird ihr Bräutigam hinter ihr stehen (Dithmarschen). Wirft sie Apfelschale über den Kopf, dann kann sie den Namen des Zukünftigen daraus lesen (Holstein37).

Das Geschirr, das Weihnachtsabend gebraucht ist, wird von den jungen Leuten des Hauses um Mitternacht an einer Wasserkuhle gespült. Dabei erscheinen ihnen dann die Gesichter ihrer Zukünftigen. Wenn sie dann nach dem Haus zurückgehen und ins Fenster sehen, dann erscheinen die Personen des Hauses, die im nächsten Jahr sterben werden, ohne Kopf38.

Im Laufe des nächsten Jahres wird ein Hausbewohner sterben, wenn die Hausfrau am Weihnachtsabend etwas zerbricht oder wenn die Hängelampe herunterfällt (Bredstedt). Wenn beim Essen am Weihnachtsabend ein Bild von der Wand fällt, so stirbt die abgebildete Person bald (Dithmarschen). Am Weihnachtsabend muss etwas Korn ausgedroschen und von dem Stroh dem Vieh etwas gegeben werden, dann gedeiht es im nächsten Jahr gut (Holstein39, Schwansen).

Um die Obstbäume muss man eine Schicht Dünger legen und mit einem Strohseil festbinden. Wenn man dann den Baum tüchtig schüttelt, so trägt er im nächsten Jahr gut (Dithmarschen, Stapelholm). Einen unfruchtbaren Baum kann man zum Tragen bringen, wenn man ihm einen von den Klößen bringt, die am Weihnachtsabend eingesetzt sind (Lauenburg).

In der heiligen Nacht um Mitternacht können die Tiere sprechen. Daher geht der Bauer dann nicht in den Stall, um die Tiere nicht zu stören (Nordschleswig). Wenn die Pferde am heiligen Abend den Kopf hochrecken (Bredstedt) oder hängen lassen (Dithmarschen), so stirbt im nächsten Jahr jemand aus dem Haus. Wenn sie ihn über die Krippe halten, dann nicht. Sie bekommen daher die Krippe voll Futter (Dithmarschen).

Wenn Jerusalems Schuster in der heiligen Nacht einen Pflug draußen auf dem Felde findet, so darf er sich darauf ausruhen (Angeln). Am ersten Weihnachtstag darf man kein Wasser aus dem Brunnen holen, sonst zieht man das Unglück mit herauf. Deshalb wollte am Weihnachtsmorgen niemand der erste beim Teich sein (Lauenburg). Um das Unglück zu bannen, pflegte man als Opfer vor dem Tränken einen Hund ins Wasser zu werfen (Lauenburg). Bäume und Sträucher soll man an dem Tage pflanzen, auf den im gleichen Jahr der zweite Weihnachtstag fällt (Oldenburg).

Zusammensetzungen des Wortes Wiehnachten

1. Wiehnachtenabend, Wiehnachtabend, neuerdings auch Wiehnachtsabend

Wenn ‘t kommt, denn kommt ‘t all op ‘n Maal, sä de Snieder ok, dor kreeg he Wiehnachtenabend twee Paar Büxen to flicken

De sett sik op as Thede Schmidt sien Kater, de wull Wiehnachtenabend keen sööte Melk slappen
(Norderdithmarschen)

Weetst du wat, sä Johann Michel to sien Katt: freeten mien Höhner nich Hackels un denn up Wiehnachtenabend?
(Scherzreim, Husum40)

Kinderlied:

Wiehnachtenabend,
denn geit dat vun baben,
denn klingen de Klocken,
denn dansen de Poppen,
denn piepen de Müs
in alle Lüüd Hüs (in all de lütten Hüs).

Aberglaube:

Wenn et weiht Wiehnachtenabend, so gifft et veele Appeln (Angeln)

2. De Wiehnachtsmann

„Weihnachtsmann”:

Wat hett de Wiehnachtsmann denn bröcht?

Foppantwort:

Wat bringt mi de Wiehnachtsmann? — En Peerd mit ‘n Fleut in ‘n Steert
(Bohnert)

Lewes Kind kruup in ‘t Spind, dat di de Wiehnachtsmann nich findt
(Kaltenkirchen)

Weihnachtsgebete:

Wiehnachtsmann kiek mi an!
Ik bün ‘n lütt Kind, dat nich veel kann.

… oder ausführlicher:

Wiehnachtsmann, kiek mi an,
‘n lütten Jung (Kind, Kerl, Klaus, Pietje, Knirps, Deern) bün ik man.
Veel beeden kann ik ni,
Wiehnachtsmann vergitt mi ni.

Andere Variationen sind:

… veel bringen must du mi

… ‘n paar Nööt geef mi man

… Gott in Himmel vergitt mi ni

oder

Wiehnachtsmann, du lütte Krööt,
bring mi Appeln un Peepernööt,
veel beeden kann ik ni,
Wiehnachtsmann, ach, hau mi ni!

oder

Wiehnachtsmann,
stick de Lichter an up den Steindamm,
dat ik di seihn kann,
puus äwer nich werrer ut,
süs kriegst wat an de Snuut.
(Trittau)

Kinderreim:

Swart witt rot,
Wiehnachtsmann is dood,
wi wüllt em begraben in unsen Poppewagen (Hamdorf)

3. Andere Zusammensetzungen

Kleen Wiehnachtenabend (Bezeichnung für den 23. Dezember)
(Angeln; auch in Dänemark gebräuchlich)

Wiehnachtsbloom (Schwarze Nieswurz; Helleborus niger)
(Hütten)

Wiehnachtsboom (Weihnachtsbaum), auch Dannenboom41

Wiehnachtsdag (Weihnachtstag)

Wiehnachtsknast („derbes Stück Brennholz”, gut gegen die Weihnachtskälte)

Wiehnachtspopp („Figur aus Kuchenteig”)42

Wiehnachtsstuut („Weißbrot, das zu Weihnachten als Spende gegeben wird”)
(Angeln)


  1. Über den Aberglauben in den Twölften s. V, 222 ff. Anderes über Weihnachten s. bei Juid 11. 1063; Kassabend III, 61; Kindjees III, 115; Peersteffen III, 994 f.; Pulterklaas III, 1140; Ruppert IV, 206. Literatur: Handelmann, Weihnachten in Schl.-H. Kiel 1866. ders. Nordelbingische Weihnachten Jb. f. Ldk. 4, 268 ff. 5, 185 ff. Heim. 5, 7 ff. 12. 19 ff. 14, 268 ff. 15, 261 ff. 16, 283 ff. 
  2. s. III, 983 
  3. vgl. Storm, Ges. W. 1, 180 
  4. Holst. 1840 
  5. Holst. 1840 
  6. vgl. III, 911 
  7. s. III, 948 
  8. Hollingstedt (Treene) 1857 
  9. Flensb. 1850 
  10. s. I, 988 
  11. vgl. Fatt H, 35; Sünnerklaas TV, 967 
  12. I, 254 
  13. s. V, 319 
  14. Hochdeutsche Bettellieder s. Jb. f. Ldk. 7, 378 f. 409. Heim. 13, 283. 
  15. s. IV, 187 ff.; auch zu Silvester 
  16. s. IV, 834 
  17. s. Kindjees-popp u. -4üg III, 116. Vgl. Nds. 18, 113 ff. Jb. f. Ldk. 5, 186. 
  18. I, 542 
  19. s. d. 
  20. s. Forten II, 212; Ossenogen III, 907 
  21. III, 168 
  22. vgl. Nds. 11, 104 
  23. Heim. 40, 205; s. Grötlicht H, 498 
  24. I, 675 
  25. s. Heim. 21, 192 
  26. s. Jb. f. Ldk. 4, 275 
  27. s. V, 162 
  28. Sagen, Märchen und Lieder aus Schleswig-Holstein. Hrsg. von K. Müllenhoff. Neue Ausgabe von O. Mensing. Schleswig 1921 (Nr. 264) 
  29. 1850 
  30. 1768 
  31. III, 700 
  32. s. schulwen IV, 427; *Ringelum *IV, 112 
  33. s. I, 84 
  34. s. Book I, 408 
  35. Jb. f. Ldk. 7, 380 
  36. 1840 
  37. 1800, s. Sch. 1, 44 
  38. Urquell 3, 141 aus Tondern 
  39. 1800 
  40. Vgl. Rennlichkeit IV, 84. 
  41. I, 675 
  42. Groth 1, 101; s. Kindjees-popp III, 116.