2. Grundsätze der Bearbeitung

(aus der Einleitung von Band 1)

In der vorliegenden Ausgabe fällt das Hauptgewicht auf die Sprache und Sitte, wie sie noch heute gesprochen und geübt wird oder in der Erinnerung unserer Alten lebt, also etwa auf die Zeit seit 1840. Dieser Zeitraum ist in der Hauptsache auf Grund mündlicher Überlieferung dargestellt; doch sind auch solche schriftlichen Quellen herangezogen, die unbedenklich als echt plattdeutsch angesprochen werden konnten und die zweifellos echtes volkstümliches Gut überliefern, wie etwa, um nur eins zu nennen, Wissers ostholsteinischen Volksmärchen. Aber der Rahmen mußte doch etwas weiter gespannt werden. Grade seit der Mitte, des vorigen Jahrhunderts ist das Plattdeutsche einem, starken Rückgang ausgesetzt gewesen. Mit dem wachsenden Verkehr, mit dem Einzug der Industrie in bäuerliche Gegenden, mit der Vorherrschaft des Hochdeutschen in Kirche und Schule, in Amtsstube und Kaserne sind zahlreiche Wörter und Wendungen verschwunden, zahlreiche Bräuche untergegangen. Es schien wichtig, auch diese nach Möglichkeit zu erfassen und der Vergessenheit zu entreißen. So wurde die Zeit seit dem endgültigen Untergang der niederdeutschen Schriftsprache, also seit etwa 1700 in die Darstellung einbezogen. Die Quellen fließen zwar für diese Zeit spärlich, doch ist es mit Hülfe der Idiotika besonders des umfassenden Werkes von Schütze (1800 bis 1806) möglich, wenigstens ein annäherndes Bild zu gewinnen. In einzelnen Fällen schien es geboten, noch weiter zurückzugehen und zum besseren Verständnis Stellen aus früheren Jahrhunderten (besonders aus den Schriften von Johann Bist) heranzuziehen, sodaß der Leser bei manchen Artikeln doch ein beträchtliches Stück der Entwicklung überschaut. — Die landschaftlichen Verschiedenheiten in Form, Aussprache und Bedeutung der Wörter sind, soweit der vorhandene Stoff es irgend ermöglichte, genau gebucht, um der aufblühenden dialektgeographischen Forschung zu dienen und zur Lösung der Fragen der Besiedelungsgeschichte beizutragen. Wenn kein Ort .angegeben wird, so ist das Wort oder die Wendung allgemein üblich; ist er hinzugesetzt, so wird damit zunächst nur gesagt, daß das Wort in der angeführten Form an dem bezeichneten Orte allgemein üblich ist, ohne daß damit behauptet werden soll, daß es sich nicht auch anderswo vereinzelt fände. Solche Unterschiede lassen sich bei der Fülle des Stoffes natürlich nicht überall einwandfrei feststellen. Oft ist aber ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ein Wort oder ein Brauch nur in der bezeichneten Gegend vorkommt. In diesem Falle erfolgt die Mitteilung in der ortsüblichen Mundart, während für alle allgemein üblichen Wendungen eine Art von normalholsteinischem Platt gewählt wurde, wie es der Herausgeber zu sprechen gewohnt ist und wie es z. B. auch auf der von ihm geleiteten Niederdeutschen Bühne gesprochen wird. — Eine etymologische Erklärung der Wörter war für diese Ausgabe ursprünglich nicht beabsichtigt. Da sich aber zahlreiche Wünsche grade in dieser Richtung geltend machten, habe ich sehr bald möglichst auch diese Seite berücksichtigt, obgleich wir uns dabei auf sehr unsicherem Boden bewegen. Für manche Wörter versagt heute noch jeder Erklärungsversuch; aber das Fehlen einer Erklärung oder der ausdrückliche Hinweis auf unser Nichtwissen wird vielleicht andere anregen, sich auf diesem schwierigen Gebiet zu versuchen, das man allerdings nicht ohne gründliche sprachgeschichtliche Kenntnisse betreten darf. Übrigens ist oft die Erklärung nicht ausdrücklich gegeben, sondern ergibt sich aus der Zusammenstellung mit verwandten Wörtern oder durch Hinweis auf sie. Ausgeschlossen von der Erklärung sind alle Wörter, die. dem Plattdeutschen mit dem Hochdeutschen gemeinsam sind oder deren nahe Verwandtschaft mit hochdeutschen Wörtern trotz abweichender Lautgestalt auf der Hand liegt. Über diese Wörter kann man sich in jedem etymologischen Wörterbuch der hochdeutschen Sprache Bat holen (Kluge, Weigand, Heyne, Bergmann, Wasserzieher). — Das in der Literatur weit verstreute volkskundliche Material ist nach Möglichkeit hier vereinigt und aus dem Volksmund ergänzt. Alles, was an Sitten und Bräuchen bei Volks- und Familienfesten, an Sagen und Liedern, an Aberglauben, Wetter- und Bauernregeln, Kinderspielen und Abzählreimen im Volk vorhanden oder aus früheren Tagen noch zu erreichen ist, wird unter einem passend erscheinenden Stichwort mitgeteilt. Natürlich kann öfters die Wald dieses Stichworts zweifelhaft sein. Durch Verweise ist dafür gesorgt, daß man auf eine volkskundliche Frage wohl kaum vergebens Antwort suchen wird.

Ein leidiges Kapitel ist das der plattdeutschen Rechtschreibung. Ich bin im allgemeinen den Lübecker Richtlinien gefolgt, obgleich sich nicht verkennen läßt, daß sie grade für lexikalische Aufgaben manche Nachteile mit sich bringen, namentlich deshalb weil die verschiedene Bezeichnung der langen Vokale in offenen und geschlossenen Silben (Roop, aber ropen) oft Zusammengehöriges auseinander reißt. Hier mußte durch Verweise dem Übel nach Möglichkeit gesteuert werden. Auch sonst muß ich bekennen, daß mir manches in der angewandten Schreibung nicht gefällt. Vor allem bedaure ich, daß mir eine völlig gleichmäßige Regelung der Schreibweise nicht gelungen ist. Ich selbst bin seit Jahren an phonetische Aufzeichnung gewöhnt; so wurde es mir nicht ganz leicht, die völlig verschiedene Schreibweise der Einsender einheitlich zu regeln. Der Druck der ersten Lieferung kam überdies schließlich so überraschend und mußte aus äußeren Gründen so schnell vor sich gehen, daß feste Grundsätze für das ganze Werk nicht gleich aufgestellt werden konnten. So muß ich die Benutzer bitten, über kleine Unebenheiten freundlich hinwegzusehen; im weiteren Verlauf der Arbeit wird eine größere Gleichmäßigkeit angestrebt werden. Im einzelnen ist zu bemerken, daß die langen offenen e-, o-, ö-Laute durch untergesetzte Häkchen von den geschlossenen Lauten geschieden sind 1; für die großen, Anfangsbuchstaben standen unterscheidende Zeichen leider nicht zur Verfügung. Sonst habe ich besondere Zeichen gemieden, auch das a „mit dem Krink”, weil es erfahrungsgemäß Immer wieder zu Verwechslungen mit dem ä führt. Mit Rücksicht auf den praktischen Zweck habe ich mich bei den Stichworten (und darum auch im Text) näher an die hochdeutsche Schreibung angeschlossen als es vielleicht manchem erwünscht scheint, z. B. ist das Dehnungszeichen h vielfach beibehalten. Bei der Unklarheit und Zersplitterung, die heute trotz aller Bemühungen noch in Sachen der plattdeutschen Rechtschreibung herrscht, schien mir dies Verfahren immer noch am zweckmäßigsten. Die Hauptsache bleibt ja für den Nachschlagenden, daß er das gesuchte Wort leicht findet, und das wird immer noch am ehesten gelingen, wenn man das geläufige Schriftbild zu Grunde legt. Zahlreiche Verweisungen werden immer nötig sein, wie man es auch macht; und damit ist nicht gespart. Für die wissenschaftliche Benutzung ist jedes Stichwort in Klammern in Lautschrift umgesetzt; auch diese ist möglichst einfach gehalten und bedient sich der allgemein üblichen Zeichen. Zu bemerken ist nur: 1. daß geschleifte (circumflektierte) Betonung durch Doppelschreibung des Vokals bezeichnet ist, 2. daß in Ermangelung von Schriftzeichen für die Lenis b, d, g (mnd. b, d, g) zur Unterscheidung von der Fortis (mnd. p, t, k) vor unbetonter Silbe ein ǝ eingefügt ist 2.


  1. Also lęben (leben), aber egen (eigen); Kǫrn (Korn), aber Koken (Kuchen); kö,nen (können), aber köpen (kaufen). 
  2. (… zu viele Sonderzeichen … lässt sich hier im Moment nicht darstellen …)