2.21 Zusammegesetzte Verben aus Hauptwörtern

Das Streben nach Kürze und Einfachheit im Ausdruck hat eine besondere Art von zusammengesetzten plattdeutschen Zeitwörtern (Verben) hervorgebracht, die der hochdeutschen Sprache gänzlich fremd sind. Was im Hochdeutschen mit Hilfe einer Präposition, eines Hauptworts und eines Verbs umschrieben werden muss, kann im Plattdeutschen in einem Wort ausgedrückt werden.

Dazu wird das ein zusammengesetztes Hauptwort verwendet, dessen Grundwort ein Körperteil bezeichnet:

Knippoog (Oog; hochdeutsch = Auge)
Wippsteert (Steert; hochdeutsch = Schwanz)

Möchte man nun einen Menschen bezeichnen, der die Neigung oder Gewohnheit hat, die im Wort genannte Tätigkeit mit dem bezeichneten Körperteil auszuführen, werden entsprechende Verben gebildet:

knippögen
wippsteerten

Auf solche und ähnliche Weise leitet man von Körperteil des menschlichen Körpers
(vereinzelt auch von tierischen Körperteilen) Verben ab. Dabei werden immer nur Körperteile verwendet, deren Tätigkeit sichtbar ist (Fuß, Kopf, Auge, Mund). Innere Organe, deren Tätigkeit nicht beobachtet werden kann, und starre äußere Glieder (Brust, Stirn, Kinn) fehlen in diesen Gebilden.

Im Holsteinischen werden auf diese Weise z.B. gebildet:

tall- oder tillföten (mit den Füßen zappeln)
knickbenen (mit den Beinen einknicken)
schüddkoppen oder koppschüdden (den Kopf schütteln)
nickköppen (mit dem Kopf nicken)
knippögen, kniepögen (mit den Augen zwinkern, blinzen; siehe auch plieren, plierögen)
grallögen (von grell; mit großen Augen in die Welt sehen), auch: begrallögen
rallögen (die Augen verdrehen)
plinkögen und ogenplinken (mit den Augen blinzen)
plierögen (mit den Augen blinzen)
lickmuuln (sich um den Mund lecken)
begriesmuuln (beschwindeln)
begrootmuuln (betrachten und weitläufig darüber reden; großmäulig sein)
muulapen (mit offenem Mund)
siepnäsen (mit tropfender Nase)
näsdröppeln (mit tropfender Nase)
spielohrn (mit den Ohren lauschen)
luukohrn (mit den Ohren horchen)
hoortasen (an den Haaren ziehen)
reckhalsen (den Hals strecken)
quuckhalsen (würgen)
duuknacken (krumm, gebeugt, gedrungen; mit gesenktem Kopf)
rumprecken (?)
buukslagen (keuchen)
handslagen (gestikulieren, aufgeregte Handbewegungen machen)
quickoorsen (?)
buttoorsen (von einem Pferd mit stumpfem Becken, untersetzter Mensch)
betütoorsen (weitläufig auseinandersetzen), hest em dat nu ok öllig betütoorst?
flinksteerten (jemanden umschmeicheln)
drüppsteerten (niedergeschlagen, traurig sein)
quicksteerten (sich unruhig bewegen)
swicksteerten (unruhig hin und her laufen)
swippsteerten (sich in kurzen, hastigen Drehungen bewegen)
wippsteerten (sich schnell bewegen, stets im Gange sein, )

Wat deist du hier rüm to muulapen? (W. 194)1
En anner beide Hannen deep in de Rocktaschen mit en junge Daam ogenplink (Gr. 4, 82)2
He ward achteran tallföten as dat nüchtern Kalv achter den Slachter (F. 4, 47)3
Luukohrn as en Söög, de ni höörn kann
Se slaat un haartaget sik alle Dage (Sch. 2, 85)4
Se handslagen as Windmöhln (F. 4, 255)3
Un de Wicheln nickköppen ehr to un wink’n ehr (Qu. 20, 17)5

In ähnlicher Weise können auch Verben gebildet werden, ohne dass ein Körperteil dabei genannt wird:

afkattspalken (sich schrecklich abmühen)
felljagen (durchgehen; von Pferden)
halfragen (ausfragen)
hungerharken (mit der Hungerharke die Halme zusammenharken, die beim Binden der Garben liegen geblieben sind)
muuleeseln (?)
smeerpeeseln (schmutzend niederträufeln)
schohnageln (zusetzen, quälen)
verdummdüveln (verdutzt machen (mit Schelten und Fluchen), verblüffen)
verhackstücken (zu verändern oder verbessern, wetschweifig erzählen, beraten, verhandeln, beklatschen)
wunnerwarken (seiner Verwunderung Ausdruck geben)
Nix to peepernöten, Wiehnachen is ut! (nichts zu ändern, nichts zu machen)
He stünn vör de Döör to sünnbacken (müßig in der Sonne liegen)
Dat Korn weer richtig sünnbraat (in der Sonne braten)

(ursprünglich Abschnitt 50 in Meyers Buch “Unsere Plattdeutsche Muttersprache”)


  1. Wisser, Plattdeutsche Volksmärchen, Jena 1914 
  2. Groth, Gesammelte Werke, Kiel 1893 (Unveränderte Nachdrucke 1898, 1909, 1913, 1918, 1920): Band 4 
  3. Fehrs, Gesammelte Dichtungen in vier Bänden, Hamburg 1913: Band 4 
  4. Schütze, Holsteinisches Idiotikon, Altona 1800/06: Band 2 
  5. Quickborn-Bücher, Hamburg 1913 ff.: Band 20