5.15 Temporalsätze

Die Temporalsätze bezeichnen einen Zeitpunkt (wann? seit wann? bis wann?), eine Zeitdauer (wie lange?) oder eine Wiederholung in der Zeit (wie oft?).

Charakteristisch für das Plattdeutsche sind die mit dor (oder auch do) oder dunn eingeleiteten nebengeordneten Temporalsätze:

Ik sitt goot, sä de Katt, dor seet se op’t Speck

Helpt hooln, sä de Jung, dor harr he en Muus in’n Tögel

Proost Mahltiet, sä de Jung, dor weer dor nix mehr

Nu puul de Angel ut, sä Jehann Frahm, dunn leev he noch

As steht in untergeordneten temporalen Sätzen:

Schenken is afkamen, as dat Köpen opkeem

As dat Glück reegen dee, harrn de Dummsdörper ehr Pött umstülpt

Auch hier wird vereinzelt dor gebraucht:

Ehr Gesicht weer noch graad so as dotomalen, dor he ehr toeerst bi de Hand mit na School brocht harr (Gr. 3, 143)

Dat erste Maal, as he gung, dor ik noch en Kind weer (Gr. 4,72)1

as he ümmer dee, dor he noch leev (F. 4, 196)2

Auch ehr (hochdeutsch „bevor“) wird häufig gebraucht, um einen Zeitpunkt anzudeuten:

Dor ward wull en Sack tobunnen, ehr he voll is

Geet ni ehr fuul Water weg, ehr du rein wedder hest

De Minsch hett nich ehr noog, ehr he op’n Karkhoff liggt

He itt Eier, lang ehr de Hahn ehr leggt hett (das erste ehr = bevor, das zweite ehr = sie)

Mit wenn eingeleitete Temporalsätze sind gleichfalls nicht selten:

Wenn de Krüff lerrig is, slaat sik de Peer

Wenn de Hund satt is, geiht he to Huus

Wenn de Boom is groot, is de Planter doot

Gut plattdeutsch ist ferner die heute nicht mehr gebräuchliche Satzfügung mit so dra (hd. sobald; mnd. drade: schnell, rasch, bald):

Sodra aver de Kanoon anfangt to günsen, denn springt he op (F. 4, 148)2

So dra as se de Fööt vun de Eer kregen, weern se verloorn (Tr., Br. L. 88)3

Sodra se de Nachtbüx von’n Aben nehm, neih he ut (Lau, K. 9)4

Ick schick dat foorts na, Stina, sodra ik’t funn heff, so dra ik’t heff, Stina (Qu. 20, 16)5

Mitunter wird auch so as verwendet:

so as de Kinner konfermeert weern, müssten se von’t Huus (Schü. 8)6

Statt so dra wird heutzutage meist das hochdeutsche „sobald“ verwendet:

Sobald dat in Summer köhli woor, gung he rin (Gr. 3, 78)7

Sobald he den annern Abend vunne Arbeit keem, söch he Wendel op (Gr. 3,91)7

Sobald as Du ankümmst, geiht’t Schellen los (Schet. 108)8

Nademe (dat), na deme male (dat) wurden im mittelniederdeutschen Aktenstil wohl im Sinne von „sintemal und alldieweil, in Anbetracht dass, weil“ gebraucht, nicht aber zur Bezeichnung einer Zeitfolge. „Nadeem“ im Plattdeutschen in Temporalsätzen zu verwenden, ist daher eine hochdeutsche Entlehnung und kann als missbräuchlich interpretiert werden:

Wenn he mal en lütten Handel anfung, nadeem he sik eerst en beeten umsehn harr, so kunn em’t, düch em, ni fehlslagen (Gr. 3, 19)7

Nadeem man einige Mal recht dörnatt un verfroorn to Huus kamen weer, vergung een sülbn de Lust (Gr. 4, 125)1

Nadeem de Grootköksch nochmal … instruiert is, geiht de Famili den Weg na’n Dörp rünner (Kl., L. 1, 3)9

Auch siet, sietdem, sörredeem, sörre de Tiet dat sind aus dem Hochdeutschen entlehnt:

Se is al swack, siet Vatter doot is

Trina föhl op eenmal, dat de Mann sien Seel keen Ogenblick vun ehr wiekt weer, siet dem sien Ogen ehr tum eersten Maal sehn harrn (Gr. 3, 263)7

Sien Herr seeg dat geern, siet dem he eernsthafter un stiller woorn weer (Gr. 3, 303)7

Die Zeitdauer findet man wie im Hochdeutschen durch solang (as, bet) angedeutet:

Solang as de Gierige leevt, hett de Bedreger keen Noot

Se wull solang in Ilenbeeck still sitten, bet Sterlau sik rund un nett utspraken harr (F. 4, 86)2

Das mittelniederdeutsche wilt, de wilt, wilt dat (solange als, während, bis) hat sich noch in einigen Gegenden (Ostholstein) als wielt, wieldess, wildeem erhalten. Es hat aber nirgends im Holsteinischen die Entwicklung zum kausalen hochdeutschen „weil” durchgemacht, das von vielen Sprechern und Schriftstellern heute in der Form von wiel allgemein ganz missbräuchlich in Kausalsätzen verwendet wird. Hier sind einige Beispiele für den korrekten Gebrauch:

Un wielt se heran wasst, wasst von de Graden … twee Swerter herut (W. 2)10

Denn kann he je man gau utspringen, wielt de anner noch bi to fülln is (W. 96)10

Itt’n Wust up, wielt he warm is (W. 181)10

Un wiel he sik as Windhund mit den Draken fecht, wieldess rauht he sik as Kerl wedder ut (W. 205)10

So grüvel de Olsch vör sik hen, wieldess Lieschen in de Köök rüm handteern dee (Schet. 17)8

Veel wöör dor noch snackt twischen de beiden, wieldeem Unkel Bendix an dat anner Finster stünn (Kl, L. 2, 106)9

De Professer meen, wieldeem he vun’t Kortenspill opstünn, dat dit noch de vernünftigste Gedanke wier (Kl, L. 1, 166)9

(ursprünglich Abschnitt 113 in Meyers Buch “Unsere Plattdeutsche Muttersprache”)


  1. Groth, Gesammelte Werke, Kiel 1893 (Unveränderte Nachdrucke 1898, 1909, 1913, 1918, 1920): Band 4 
  2. Fehrs, Gesammelte Dichtungen in vier Bänden, Hamburg 1913: Band 4 
  3. Paul Trede, Brochdörper Lüd, Garding 1890 
  4. Fritz Lau, Katenlüd, Garding 1910 
  5. Quickborn-Bücher, Hamburg 1913 ff.: Band 20 
  6. Anna Schütze, Mamsell, Quickborn-Bücher, Bd. 22/23 
  7. Groth, Gesammelte Werke, Kiel 1893 (Unveränderte Nachdrucke 1898, 1909, 1913, 1918, 1920): Band 3 
  8. Schetelig, Lieschen Ströh un ehr Söhn, Garding 1888 
  9. Kloth, De Landrathsdochder, Garding 1885 
  10. Wisser, Plattdeutsche Volksmärchen, Jena 1914