3.9 Pleonastische Formen bei Artikeln und Zahlwörtern

Den unbestimmten Artikel een fügt man hinzu, um eine Vielheit als Einheit hinzustellen. Es wird also z.B. nicht tein Lüüd (zehn Leute) gesagt und damit eine Mehrzahl von Leuten gemeint, sondern die Gruppe wird als eine Einheit aufgefasst und een tein Lüüd gesagt:

Dat kümmt mi op een föftig Daler gornich an
Vör en drehunnert Johr (F. 2, 256)1
En acht Daag’ naher weer dat Sojaks-Mark (F. 2, 268)1
Dat gung so Dag un Nacht en veer, fief Eebenliet (Gr. 4,15)2 (Ebenliet = ein Zeitraum von 24 Stunden)
Anne Kant en veertig Johr (Tr., Br. L. 91)3
Wul en twintig Miel Weegs oder noch wieder (Tr., L. E. 19)4
Man kunn bald en dree, veer Lüüd vör en Peerstall … stahn sehn (Gr. 3, 342)5
Denn weern en veer, fief Locker in’e Achterwand apen kamen (Gr. 4, 15)2

Dinge oder Personen werden auch dann als eine Gesamtheit aufgefasst, wenn een in Zusammensetzungen mit einigen Präpositionen (bi, dör, vun’, *ut) die Bedeutung enanner (einander) hat:

bieen blieben (beieinander bleiben)
allns döreen bringen (alles durcheinander bringen)
he hett allns döreen smeeten (durcheinander geschmissen)
vuneen fallen (auseinander gefallen)
loopt doch ni all ut’neen (lauft doch nicht alle auseinander)

Das Possessivpronomen (z.B. min, sin) kann zusammen mit een vor dem Hauptwort stehen, auch wenn mehr als zwei Gegenstände vorhanden sind:

min een Peerd
sin een Stuuv,
jun een Koppel
uns’ een Beerboom

Der mit so zu so’n (so ein) verwachsene unbestimmte Artikel een wird als solcher nicht mehr aufgefasst:

Jüst so’n as du (genau so einer wie du)
ik heff so’n siechen Droom hadd (ich habe so einen … Traum gehabt)
so’n Ding will’n Meister bieten
so’n Muul maak man, denn kriggst ok ’n Popp mit ’n Band an

Abweichend vom Hochdeutschen steht nach dem unbestimmten Zahlwort all der bestimmte Artikel de oder dat:

all dat Geld (alles Geld)
all de Lüüd (alle Leute)
he is över all de Bargen (über alle Berge)
ik stah vör all de Fehler, sä de Rosskämmer, do faat he dat Peerd bi’n Toom an

Vergleiche auch:

Dor heff ik all min Daag (mein Lebtag) noch nix von höört
he will ok all sin Daag keen Flint wedder anfaten
Dat weer all een Füür
In’t Lee is dat Water all een Schuum (Lau, K. 42)6

Das Wort all steht auch dann nie allein, wenn es substantivisch gebraucht wird. Es wird immer von einem andern Wort (z.B. dat, se) begleitet und gestützt:

Sünd se dat all? (sind das alle?)
Se legen noch all to slapen (alle schliefen noch)
Dat seggt se all (alle sagen es)

(ursprünglich Abschnitt 61 in Meyers Buch “Unsere Plattdeutsche Muttersprache”)


  1. Fehrs, Gesammelte Dichtungen in vier Bänden, Hamburg 1913: Band 2 
  2. Groth, Gesammelte Werke, Kiel 1893 (Unveränderte Nachdrucke 1898, 1909, 1913, 1918, 1920): Band 4 
  3. Paul Trede, Brochdörper Lüd, Garding 1890 
  4. Paul Trede, Lena Ellerbrok, Garding 1884 
  5. Groth, Gesammelte Werke, Kiel 1893 (Unveränderte Nachdrucke 1898, 1909, 1913, 1918, 1920): Band 3 
  6. Fritz Lau, Katenlüd, Garding 1910