3.1 Hinzufügung von Lauten

Neben dem Trend zur Kürze ist es im Plattdeutschen charakteristisch, Dinge leicht verständlich und deutlich auszudrücken. Dadurch werden Zweideutigkeiten vermieden. Dies äußert sich sprachlich in einer nachdrücklichen Verstärkung durch Hinzufügung, Wiederholung und Unterstreichung eines Lautes, Wortes oder Gedankens.

Wenn auf der einen Seite Laute wegfallen und eine Kürze des Ausdrucks ergeben, so gibt es auf der anderen Seite auch die Voranstellung eines Anlauts (Prothesis). Sie ist im Niederdeutschen nicht sehr häufig. Vereinzelt wird der Schlusslaut des unbestimmten Artikels zum folgenden Worte gezogen und fest mit ihm verbunden. So entstanden z.B.

Nökelnaam (mittelniederdeutsch: okelname)
Noors (mittelniederdeutsch: ars, podex)

Das t in tachentig (achtzig) steht schon im Mittelniederdeutschen (tachtentich).

Viel häufiger ist die Hinzufügung eines Auslautes (Paragoge). Sehr verbreitet z.B. ist die Gewohnheit, am Ende der Wörter ein t erklingen zu lassen:

dat is all eendoont (es ist alles egal)
ganz niet
dat ole Leben woor mal wedder niet (Gr. 3, 255)1
enkelt (einzeln)
eebent (eben)
rentlich (reinlich)
Drömert (Sch. 1, 259)2
Dickert
Blaffert
Laffert
Deert, Undeert (Tier, Untier)
Kuffert (Koffer)
de Teint (die Zehn im Kartenspiel)
maakt nich so’ Leevent
den annern Mornt (W. 124)3
in Avent brennt all’n lütt nüüdlich Füür (Schü. 30)4

An viele Adverbien, Präpositionen und Konjunktionen wird ein s gehängt. Ursprünglich war das s eine Genitivendung. Nachdem der Genitiv aber als solches nicht mehr verwendet wird, lässt man es auch ganz unorganisch nachklingen:

worns
narms
enerweegens, annerweegens
allerweegens
ünnerweegens
driebens
köttens
jichens
bitiets
sachs
liekers
absluuts
attüüs
blots
staats
mitsamts
avers

Auch andere Laute treten in dieser Weise auf:

Tehn (Zehe)
aversen
blootsen
fortsen
Sachsen
dünn (= do)
geiht man dochn (Lau, K. 77)5
bi meddag Uten (Qu. 26, 41)6
heroppe
heraffe
rinner
rümmerbiestern (Lau, K. 31)5
nier = nich (Lau, K. 10)5
blaag (blau)
Kög’ (= Kühe) (W. 137)3
gaug (W. 217)3
Summari (W. 18)3

Häufig ist auch die Einfügung eines Inlautes (Epenthesis), besonders bei Fremdwörtern:

kumpabel (fähig)
visenteem
rungeneem
dissenteem
Lanteern (Laterne)
Possentuur
Bangenett
bugen
friegen
schriegen
grugen
trugen
draugen
haugen
Nee, Vaagt, desterwegen kaam ik ni (P. V. 12, 28)7

Das Plattdeutsche hat die sehr große Neigung, zwei aufeinanderfolgende, zusammengehörige Wörter mit einem s zu verbinden. Dieses s ist zuerst als Genitivendung zu verstehen:

Allmannsfründ
Hemdsmaun
Dörpsjung
Satanswief

Darüber hinaus werden nach diesem Muster aber auch Zusammensetzungen gebildet, bei denen das s nicht diesen Zweck haben kann:

Arbeitspeer
Fruunsminsch
Wohrsfru
Knechenskamer

Das s wird hier als generelles Übergangs- und Bindeglied verwendet.

Auch das l dient mitunter zur Verbindung zweier Wörter in Zusammensetzungen:

Brommelbeer
Backeltrog
Kinnelbeer
Warkeldag
Wittelquast
Fass’labend
Knüttelsticken
Umtreckeltied
Mardelbloom
Miegelreem (Ameise)
Sagelspöön (W. 91)3
Drögeldag (Kl., L. 1, 49)8

(ursprünglich Abschnitt 53 in Meyers Buch “Unsere Plattdeutsche Muttersprache”)


  1. Groth, Gesammelte Werke, Kiel 1893 (Unveränderte Nachdrucke 1898, 1909, 1913, 1918, 1920): Band 3 
  2. Schütze, Holsteinisches Idiotikon, Altona 1800/06: Band 1 
  3. Wisser, Plattdeutsche Volksmärchen, Jena 1914 
  4. Anna Schütze, Mamsell, Quickborn-Bücher, Bd. 22/23 
  5. Fritz Lau, Katenlüd, Garding 1910 
  6. Quickborn-Bücher, Hamburg 1913 ff.: Band 26 
  7. Plattdütsche Volksböker, Garding 1914 ff.: Band 12 
  8. Kloth, De Landrathsdochder, Garding 1885: Band 1