6.1 Der Reichtum des plattdeutschen Wortschatzes

Es trifft nicht zu, dass der Wortvorrat der plattdeutschen Sprache geringer sei als der der Schriftsprache. Er umfasst eine große Fülle von treffenden, kräftigen wie gemütvollen Ausdrücken für die Erscheinungen der nächsten Umgebung, für alles, was sichtbar und hörbar ist. Für viele Begriffsgruppen besitzt das Plattdeutsche einen ganz erstaunlichen Überfluss an sinnverwandten Wörtern, der weit über das Maß dessen hinausgeht, was die Schriftsprache zur Verfügung hat. Es hat seine eigenen Pflanzen- und Tiernamen, eine große Mannigfaltigkeit an Bezeichnungen für die Gebrauchsgegenstände und Verrichtungen in Haushalt und Werkstatt, für Ackerbau und Viehzucht, Fischerei und Schifffahrt. Es hat die Naturerscheinungen aufs Sorgfältigste beobachtet und besitzt auf manchen Gebieten eine verwirrende Menge von Begriffsabschattungen, für schwatzen und prügeln z. B., für schlau und dumm, für ungeschickt und schlumpig, für handeln und betrügen. Unerschöpflich erscheint besonders der Wortvorrat, wenn körperliche Bewegungen, körperliche und geistige Gebrechen, die menschlichen Eigenschaften im Guten und Schlechten bezeichnet werden sollen. Für scheinbar ganz gleichgültige Nebenerscheinungen, soweit sie sinnfällig sind, kann das Plattdeutsche mit immer neuen Bezeichnungen aufwarten.

Betrachten wir z. B. die vielen plattdeutschen AusdrĂĽcke fĂĽr das Gehen, Laufen, sich Bewegen:

Wer langsam und träge geht, kommt …

andammeln
andrieseln
ansteeveln
anslarpen
ansneekeln
annödeln
anpuddeln
andudeln
andeesen
anbummeln
andröteln
andiesen
anslöpen as ’n Örtpott

is ’n Bummelbüx
Dammeiklaas
Slickensleef
Drieseler
Dröteler

is lösig un langsam
is so flink as ’n Vagel, de Koh heet
is so ielig as ’n Sliepsteen, de in sæben Johr ni smeert is
is so flink, wenn de annern fallt, hett he al ’n Stunn leegen

se geiht, as wenn se mit ’n Brettfoot treckt
as wenn he na ’n Hoffdeenst will
se blifft bi ehrn’ Trant, kümmt ut ehr Slenderjan ni rut

Vom mĂĽhsam Gehenden sagt man:

Em sitt de Dood op de Hacken
se geiht op de letzten Fööt
he driggt den Dood in de Been
dat LooptĂĽĂĽg is ehr ni in de Reeg
dat is em in de Waden schaten
de Stiepers wĂĽllt ni
ehr Potentaten döggt nix
he kröpelt dor henlank
se krüppt as ’n Snick
he is stumpelig
se ist stufelig
he is stölterig to Been

Der nachdenklich Einherschlendernde …

geiht in de Dees
as de Goos
geiht mit Ebb un Floot (ohne Ziel)
biestert ümher as de Kreihn in ’n Snee
geiht slurig
sluntert
dweitert
dwetert dor henlank
kĂĽmmt an slinkfiesten

Wer zierlich und sorgsam auftritt und trippelt …

geiht, as wenn he Eier ünner de Fööt hett
pedd as de Göös
pedd so hooch as de Poch in ’n Maanschien
löppt as en bunten Hasen
is ’n Trippeltrien, Trappeltrien

Wer steif und wĂĽrdevoll einherschreitet …

geiht to Been as en Preester
geiht eebenmödig, ooltmödig, geruhig un beteemli
geiht so stief as en holten BrĂĽdigam
as harr se ’n Pahl in ’n Lief
as harr he ’n Bessenstööl överslaken
is so stief as en Postpeerd
… as en Dragonerpeerd
… as en Pahl
… as en Sticken
… as en Sagenbök
is knakig to Been

Der Hinkende …

humpelt
humpumpelt
pedd in de Kuul
hett dat Hinken in de Schinken
is ’n Klunkerfoot
… Stolterfoot
… Mamsell Hinkop-dehack

Der Stolpernde …

snubbelt
snĂĽbbelt
sniiffelt
stöltert
fallt över sien egen Fööt

Der Taumelnde …

tummelt
swiemelt
swiswaagt
wiwaagt
swiswockt
swienswunkt
swickswackt
swickswuckt
sett över
pedd över de Tehn
geiht verdweer un verdwass
schĂĽtt dor henlank
mitt de Straat
verlĂĽft den Strich
kann ni mehr op ’n Strich gahn
em höört de ganze Weg
se hett ’n Bliehoot op
hett natte Fööt
hett scheve Steeveln an

Wer nachlässig und plump geht …

schrankelt und schrökelt
schĂĽffelt, slennert un slarrt
slurkt un slarpt
schumpelt, sneekelt
nödelt
slirpslarpt
schĂĽfft mit de Schinken
wackelt as ’n Goos
geiht in de Dreih
hett ’n Hahnentritt
löppt ümmer von de Siet
as wenn de Hunnen to Hochtiet gaht

is ’n Schüffelfoot
Slirrslarr
Schraadlöper
Slurrerslarrer
Mars Schrökelbeen
TĂĽffeljochen
TĂĽffeltrien
Klurrhack (geht schwerfällig)

geiht knickbenig
wallbenig
splettbenig
spaakbenig
slan-terig
slackerig
geiht as ’n Steenbrügger
kĂĽmmt antramsen
truffen
knojen
kluntschen
kladunsen
karrjuckeln

Wer auffällig umherrennt …

spaddelt
spackelt
sprangelt
sprauelt
tillfööt
springt ĂĽmher
ampelt sik af
hingst herĂĽm
löppt as de Katt üm den Brie
springt herüm as de Luus op ’n Teerquast
as so ’n kopplosen Hahn
löppt as en Krüselding
hüppt as de Heister op ’n Kohpans
is bannig wispelig

Der flink Dahineilenden, sich Ăśberhastende

kĂĽmmt anaposteln
anbirsen
anbĂĽdeln
ankladatschen
anklabastern
anfucken
anbiddeln
anscheddeln
anschockeln
anschafuckeln
anschubbeln
anschechtern
anschestern
anschietbĂĽdeln
anstaken

löppt as wenn em de Büx brennt
as so ’n verbrennt Swien
as ’n Bessenbinner
as ’n Bookwetenbuur
as ’n Pansenklopper
as ’n Fattbinner
as ’n Büttenbinner
as ’n Tüüt (Vogel)
as deefsch Liesch

se birst as Veeh
langt gehörig ut
löppt all sien Best
löppt vör dull un blind
dat ’s all Arm un Been
luter Hacken un Tehn

he löppt sik de Been noch af
rönnt as ’n Fahln
löppt as de Haas vör ’n Hund
löppt, wat Tüüg un Tögel hooln kann
verlĂĽst noch Schoh un StrĂĽmp
löppt sik Hacken un Tehn af

dat geiht in de Hasenjagd
in de Ulenfluch

ehr gaht de Been as ’n Poor Trommelstöcker

he is ’n Lööpschloper
SchesterbĂĽdel

se hett sien Fööt op ’n Nacken
maakt sik gau op de Socken
kriggt dat bannig hild
treckt de Hacken na

he is fix to Foot
is so benig as ’n Tittfahl
is rapp to Been
is gau as en Wissel
is so lööpsch as Luna sien Bless

Das ist nur eine Auswahl von Ausdrücken aus einer einzigen Begriffsgruppe. Andere Gruppen ließen sich ohne große Mühe zusammenstellen. Von dem ganzen Reichtum der plattdeutschen Ausdrucksmöglichkeit in Worten und Wendungen würden sie immer nur ein schwaches Abbild geben. Der angebliche Mangel an abstrakten Begriffen im plattdeutschen Wortschatz wird ausgeglichen durch die reiche Mannigfaltigkeit in der Vorstellungswelt und des Gefühlslebens.

(ursprĂĽnglich Abschnitt 122 in Meyers Buch “Unsere Plattdeutsche Muttersprache”)