2.23 Der Imperativ

Zu den unvollständigen Sätzen gehören nicht solche, deren Prädikat im Imperativ steht. Es fehlt zwar das Subjekt. Dieses wird aber nicht unterdrückt, sondern durch die Form des Prädikats überflüssig gemacht.

Da die zweite Person Singular im Plattdeutschen keine Beugungsendung (Flexion) hat, ist der Imperativ bei starken und schwachen Verben gleich dem reinen Stamm, oft sogar ohne Endkonsonanten:

loop!
kruup!
liss!
rie!
snie!

Der Plural ist gleich der zweiten Person des Wortes im Plural Präsens:

kaamt!
kööpt!
slaagt!

Oft tritt an die Stelle des Imperativs der Infinitiv oder das Partizip II (Partizip Präteritum):

Af toben!
Man eerst mal toben!
Still stahn!
Nich rögen!
Ni faat kriegen laten!
Smöökt ward hier ni!
Aver nu dat Eeten ni koolt warrn laten, Klaas! (F. 4, 118)1

Der verneinte Imperativ wird gerne durch mĂĽssen umschrieben:

Muss ni!
Muss ni so veel fragen!
Dat muss du jo ni doon!

Will man sich selbst und zugleich andere zu etwas anregen, nimmt man laten zu Hilfe:

Laat uns dor mal hen!
Laat uns doch to Huus gahn!
Laat uns gau to maken!

Die Verwendung der dritten Person Plural ist eine Entlehnung aus dem Hochdeutschen:

Kamen Se!

Außerordentlich beliebt ist im Niederdeutschen die Namensgebung im Imperativ. Dazu wird ein Hauptwort zusammengesetzt, welches aus dem Stamm eines Verbs und einem Zusatz besteht. Es ergibt dann scheinbar eine Zusammenfassung befehlender Sätze. Häufig wird noch der bestimmte Artikel oder eine Präposition mit Artikel mit hineingeschmolzen. In diesen Namen tritt die Kürze und die Treffsicherheit des Plattdeutschen zutage, verbunden mit überraschender Anschaulichkeit.

Solche Namen haften zunächst an bestimmten Personen, Tieren, Pflanzen oder Orten, denen man in einem Beinamen eine charakteristische Eigentümlichkeit anhängen will:

Hans Röhrop
Hans Blieftohuus
Heinri Stipp-in’t-Fett (ein Magerer)
Heinri Verwahr-mi-dat (Pfandverleiher)
Mamsell Hink-op-de-Hack (eine Hinkende)
sien Mudder hett em ne anners heten as Fuuldowat (W. 192)2
Wo heet dat Kind? Schraap-den-Borm, seggt de VoĂź (P. V. 8, 22)3

De ol Kruup-in’t-Lock (der Maulwurf)
Flick-de-BĂĽx (Wachtel)
HĂĽppop un WĂĽppop (Frosch und Maulwurf)
Fritt-ut-Fatt heet mien Katt
Pedd-betto heet mien Koh
Loop-den-Hoff-rund heet mien Hund
Speel-vör-de-Dör heet mien Göör

Stah-op un Gah-weg (Veronica)
Jappop (Löwenmaul)
Kiek-ut’n-Busch (Kapuzinerkresse)
DrĂĽckdal (Queller)
Krüütjen Röög-mi-ni (Noli me tangere, Sch. 3, 299)4

Ortsnamen:

Kiekut (Kiek ut = siehe hinaus)
Krupunder (Krup ĂĽnner = krieche unter)
Lurup (luur op = lauere auf (etwas))
Stahwedder (stah wedder = stehe wieder)
Passup (pass op = pass auf)
Packan (pack an = packe an)

Dann werden solche Namen verallgemeinert:

Se is recht n ooln Stah-vör’n-Foot, Stah-in’n-Weg
he is ’n groten Frittop, Sladoot
Fall-in’n-Brie
Kiek-in-de-Köök
Snuuv-in-de-GrĂĽtt
Rietendal
Rieten-spliet
Röögüm
Stipp-in-de-Pann
Kiek-in-de-Kann
Klapper-mit-de- Kann
Sladrup
Y Sitt-op’n-Sack
Luur-op’n-Penning
SchrapenpĂĽĂĽster
Suupuut
Haal-na-di
Kiek-in-de-Welt
de süht ut as’n Katt-kruup-ut’t-Water

Ferner werden Familiennamen aus Imperativen gebildet:

Bötefür
Griepenkerl
Jagemann
Kiekbusch
Spannut
Mackeprang

Ein weiterer Schritt fĂĽhrte dazu, dass die ursprĂĽnglich fĂĽr Menschen und Tiere, Pflanzen und Orte gebildeten Namen auf Sachen ĂĽbertragen werden:

Smietum (starker Wein)
Schuuf-vör’n-Dumen (Geld)
Sett- ut’n-Weg (stummer Diener)
DreihĂĽm (Drehkreuz auf Wegen)
Puuß-de-Lamp-ut (Dreispitz der Leichenträger)
en witt’n Kummherut (Kragen)
he hett’n goden Sett-di-dal
Sitt-still
Blief-achter-mi (Frack)
holten Jappup mit’n iesern Klappup (Eimer)
Kiekut und LĂĽchop (beim EisboĂźeln)
Hans-putz-weg und Passop (Spiele)
Hans-do-mi-nix
Hans-fraag-mi-ni (Krätzsalbe)
he hett’n Kummhurtig (Durchfall)
Sluckop (Schluckauf), vör’n Groschen Hau-mi-blau

Die weiteste Entwicklung besteht darin, dass diese konkreten Namen auf abstrakte ĂĽbertragen werden:

He hett ’n goden Kehr-di-an-nix
beeter een Nimm-mit, as twee Haal-na
Mag-ni-mehr liggt ĂĽnner de Eer
dat weer dor en bösen Kummtorecht
Giff-mi hett dat Gnick braken
hool dien’ Swiegstill
Hgg-wat hett wat
Frittop hett nix
he maakt veel Helphool
dat is en Snackanners
Kniep-in’t-Hart (Liebschaft)

(ursprĂĽnglich Abschnitt 52 in Meyers Buch “Unsere Plattdeutsche Muttersprache”)


  1. Fehrs, Gesammelte Dichtungen in vier Bänden, Hamburg 1913: Band 4 
  2. Wisser, Plattdeutsche Volksmärchen, Jena 1914 
  3. PlattdĂĽtsche Volksböker, Garding 1914 ff.: Band 8 
  4. SchĂĽtze, Holsteinisches Idiotikon, Altona 1800/06: Band 3