Der dritte Fall (Dativ) der Hauptwörter ist im Plattdeutschen vom vierten Fall (Akkusativ) verdrĂ€ngt worden. Da lautgesetzlich das auslautende e im Plattdeutschen verschwindet, das auslautende r mit dem vorangehenden Vokal verklingt und das auslautende m sich zu einem n abschwĂ€cht, fehlt in fast allen FĂ€llen die Möglichkeit, den Unterschied zwischen Dativ und Akkusativ zu hören. Daher gibt es im Plattdeutschen auch kein SprachgefĂŒhl mehr fĂŒr die Unterschiedlichkeit dieser FĂ€lle wie im Hochdeutschen. Das fĂŒhrt zu dem scherzhaft gemeinten Ausspruch:
Wenn du nich weetst ob mir oder mich, snack plattdĂŒĂŒtsch denn verdeist di nich!
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich beim Personalpronomen (mir, mich) nicht der Akkusativ (mick, dick), sondern der Dativ (mi, di) durchgesetzt hat. Bei der dritten Person ist dies noch nicht vollstÀndig der Fall. Hier schwankt der Sprachgebrauch zwischen dem Dativ und dem Akkusativ. Bei den mÀnnlichen Wörtern ist in der Einzahl das em durchgedrungen. Bei den weiblichen Wörtern und in der Mehrzahl ist die Akkusativform se und die Dativform ehr in Gebrauch:
Dat harr de Landvaagt se leggt (Gr. 3, 220)1
Dat harr he ehr seggt
He snack ok den ganzen Dag mit se (Gr. 3, 221)2
He snackt hĂŒĂŒt noch mit ehr
Heute wird in der Einzahl fast ausschlieĂlich ehr gebraucht. In der Mehrzahl ist zusĂ€tzlich auch se gebrĂ€uchlich. Nach PrĂ€positionen wird wohl nur noch ehr gebraucht:
Hen na ehr kannst du ni
Dat seggt he to ehr
Mit ehr Bööker kann he licht torecht kamen
Bei den sÀchlichen Wörtern werden im Holsteinischen die Formen des Pronomens in der Einzahl (et) fast gÀnzlich vermieden.
In Angeln wird bei den Personalpronomen der Dativ auch fĂŒr den Nominativ verwendet. Das mag ein Einfluss aus dem DĂ€nischen sein (det er mig = das bin ich, det er dig = das bist du, det er ham = das ist er):
Dat is mi, KrĂŒschan Jensen (J. A. 56)3
Is dat richtig Di? (J. A. 128)4
Denn em weer dat un keen annere een (J. A. 71)5
Em wull de Mansfeldt sik nu mit vebinnen (J. A. 55)6
Der Dativ ist auch bei den Hauptwörtern nicht ganz aus dem Plattdeutschen verschwunden. Besonders in Verbindung mit PrÀpositionen lassen sich zahlreiche Spuren von Dativformen nachweisen:
bi Daag
opân Dörpen
inân Drögen
inân DĂŒĂŒstern
opân Fell (auf dem Felde)
in Freeden
to Föten
ĂŒnnerân Föten
mit voller Fuust
to gangân kamen
toân GlĂŒcken
mit aller Gewalt
inân Hoorn
inân Huus
achterân Huus
von Harten
to Harten nehmen
vonân Lann
opân Lief
bilĂŒtten
inân stann
in oolen Tieden
to rechter Tiet
good toweeg
inân Weegen stahn
So schreibt z.B. Wisser in seinen VolksmÀrchen:
Achter jeden Peerd licht ân Pudel achter (W. 2)7
Nu sĂŒnd dor Suldaten opstellt, vör ân Sloss (W. 8)8
As se utân Bett kĂŒmmt (W. 17)9
Hans snitt de Steerten dich bi ân Lief af (W. 23)10
Min Mann is in ân Fell un plöögt. Aver de Koppel is hier bi ân Huus (W. 104)11
Op denâ un denâ Sloss, dar sĂŒnd veer geel Hingsen (W. 165)12
He kriggt sien Broot un Speck utân Dook un geiht bi to eeten (W. 260)13
Diese ĂŒberkommenen Reste unterscheiden sich von den Formen, die dem Hochdeutschen nachgebildet wurden und als fehlerhaft gelten mĂŒssen:
mit groten Schritten
in beeteren Tieden
in mienen jungen Dagen
rechtiedig tor Stell weesen
Bet dorhen maak man sik dat op Stöhlen un Banken moje
Lust tum Spreeken (Gr. 3, 165)14
Damm geeft aver am Ende nich so veel in en Ort (Gr. 3, 269)15
Im Grunde weern twee Bööm nich noog (Gr. 3, 282)16
Dagegen ist der ethische Dativ ist im Plattdeutschen hÀufig und richtig:
Du bĂŒĂ di över een!
Fang mi dar ni wedder mit an.
Wat geef di dat en Opstand!
Dat is mi de rechte He (Sch. 2, 116)17
Wat âs mi dat vör ân Meihn mit di (W. 79)18
Heck di dat ne seggt, du schuss mi nicks anrögen (W. 165)12
Uns FrÀulein vertreckt mi de Diern binah (Kl., L. 1, 115)19
Joachim MÀhl gebraucht ihn mit Vorliebe: Mit eenmal ward Di dat en Getrampel mit de Fööt (T. 7)
Na, dat ward Di nu över en Upstand! (T. 18)
He schull sik man blot en mal unnerstahn un mi dat Kind slagen (T. 48)
Paà mi man goot up un kiek mi mit na de ool groot Söög (T. 71)
Do mi den eenzigsten Gefallen, un slaag mi de Diern ut ân Kopp! (T. 78)
Kiekt mi man mal de beiden Bengels an! (P. V. 18, 8)20
(ursprĂŒnglich Abschnitt 41 in Meyers Buch “Unsere Plattdeutsche Muttersprache”)
- Groth, Gesammelte Werke, Kiel 1893 (UnverĂ€nderte Nachdrucke 1898, 1909, 1913, 1918, 1920); Band 3, S. 220 ↩
- Groth, Gesammelte Werke, Kiel 1893 (UnverĂ€nderte Nachdrucke 1898, 1909, 1913, 1918, 1920); Band 3, S. 221 ↩
- Jihann Aadulf un sien LĂŒd. Dresden u. Leipzig 1910: S. 56 ↩
- Jihann Aadulf un sien LĂŒd. Dresden u. Leipzig 1910: S. 128 ↩
- Jihann Aadulf un sien LĂŒd. Dresden u. Leipzig 1910: S. 71 ↩
- Jihann Aadulf un sien LĂŒd. Dresden u. Leipzig 1910: S. 55 ↩
- Wisser, Plattdeutsche VolksmĂ€rchen, Jena 1914: S. 2 ↩
- Wisser, Plattdeutsche VolksmĂ€rchen, Jena 1914: S. 8 ↩
- Wisser, Plattdeutsche VolksmĂ€rchen, Jena 1914: S. 17 ↩
- Wisser, Plattdeutsche VolksmĂ€rchen, Jena 1914: S. 23 ↩
- Wisser, Plattdeutsche VolksmĂ€rchen, Jena 1914: S. 104 ↩
- Wisser, Plattdeutsche VolksmĂ€rchen, Jena 1914: S. 165 ↩ ↩
- Wisser, Plattdeutsche VolksmĂ€rchen, Jena 1914: S. 260 ↩
- Groth, Gesammelte Werke, Kiel 1893 (UnverĂ€nderte Nachdrucke 1898, 1909, 1913, 1918, 1920); Band 3, S. 165 ↩
- Groth, Gesammelte Werke, Kiel 1893 (UnverĂ€nderte Nachdrucke 1898, 1909, 1913, 1918, 1920); Band 3, S. 269 ↩
- Groth, Gesammelte Werke, Kiel 1893 (UnverĂ€nderte Nachdrucke 1898, 1909, 1913, 1918, 1920); Band 3, S. 282 ↩
- SchĂŒtze, Holsteinisches Idiotikon, Altona 1800/06: Band 2, S. 116 ↩
- Wisser, Plattdeutsche VolksmĂ€rchen, Jena 1914: S. 79 ↩
- Kloth, De Landrathsdochder, Garding 1885: Band 1, S. 115 ↩
- PlattdĂŒtsche Volksböker, Garding 1914 ff.: Band 18, S. 8 ↩