4.5 Bilderreichtum

Die dem Leben abgelauschten Beobachtungen werden vielfach mit bildhaften Ausdrücken noch treffender gestaltet. Der herkömmliche Ausdruck wird in das Bildhafte übertragen, bekommt eine bildliche Form. Diese Bilder (Metaphern), die in der Schriftsprache meist verblasst sind, haben im Plattdeutschen etwas Frisches und Farbiges. Man vergleiche nur:

Se kann dat ni to Heck bringen / Sie kriegt es nicht fertig

Wat hest du op’n Staken? / Was möchtest du?

Se keem mi in de Mööt / Sie begegnete mir

Dor is de Buur fein toweeg west / Er ist gut heraus gewesen

Dat is mi ganz ut de KĂĽnn kamen / Es ist mir entfallen

Überall tritt im Plattdeutschen die sinnliche Kraft des Ausdrucks hervor. Ein weiteres Beispiel ist, wie für Zustände und Eigenschaften treffende, bildmäßige Ausdrücke verwendet werden. So gibt es für Naturerscheinungen im Plattdeutschen eine Fülle solcher Bilder:

Es schneit …

De Möller- un Bäckerjungs slaat sik
de Sommerlotten fleegt
de Meister ward böös un smitt mit de Fremdzetteln rüm
de DĂĽvel swengt Flass un smitt uns mit de Scheev ĂĽm de Ohrn
Petrus snitt Flackels
Petrus widert sin Bett ut
de Engels plĂĽckt Feddern un Dunen
dor kaamt de Wittbeeker Imm

Es donnert …

Petrus gĂĽtt KantĂĽffel ut
Petrus is bi to Keegel speelen
Petrus smitt all neegen
de leve Herrgott smitt mit den Brootknuust (Mhff. 358)
de DĂĽvel walkt sien Grootmoder
dat bullert, grummelt, grĂĽnst

Vom Regen …

Dor hebbt wi dat mit den Sirop, nu ward he lecken
de Himmel fangt en beeten an to sweten
Petrus hett de Luken apen
Petrus is bi de SprĂĽtt
dat gĂĽtt mit BĂĽtten un Baljen
dor kann en Bielstööl ut ward’n
de Bindfadens wĂĽllt ok gornich afrieten
dat reegent Flintsteens
dat reegent Schoosterjungs
dat bĂĽĂĽkt

Besonders erfinderisch ist das Plattdeutsche bei der Umschreibung körperlicher und geistiger Gebrechen, im Guten wie im Bösen:

Redselig sein …

He hett Finstern un Döörn loos
se snackt de Koh dat Kalf af
em is de Keekelreem goot sneeden
se hett veel in’t Fatt
he hett Heistereier eeten
se snackt een’ von’t Peerd hendal un sett sik sülben dorop

Vom Prahlen …

he itt Eier, lang ehr de Hahn ehr leggt hett
se kann ut en Knips en Donnerslag maken
he sleit an de groot Klock
se snackt von ’n groten Christopher un hett den lütten ni sehn
he blaast in’t Kohhoorn
se hett söben Johr reist in een’ Winter
he hett groot Rosinen in’n Sack

Wenn jemand groß gewachsen ist …

se is in’t Saat schaten
he hett elb’n Rippen
se kann Hei ut de Luuk traten
he kann di de Pannkoken von’n Kopp eeten

Jemand Ist mager …

he hangt noch eeben op de Lappen tosamen
he höllt blot noch bi de Graden tohoop
man kann em dat Vaderunser dör de Backen blasen
he is de reine Maiheek

Andere Beispiele sind …

he snackt mit de kort Tung (er stottert)
de Katt hett ehr över de Tung kleit (er kann kein r sprechen)
he hett en Klümp in’n Hals (er ist heiser)
ehr Tung geiht op holten TĂĽffeln (sie ist betrunken)
he smitt dor ni hen, wo he henwiest (er ist doppelzĂĽngig)
se hett en Pickplaaster op’n Mund / man mutt dat Woort mit Tangen ut ehr rut haaln (sie ist schweigsam)
de Rook treckt achter em op (er lĂĽgt)
he hett WĂĽpsen in de BĂĽx (kann nicht still sitzen)
se hett scheve Steeveln an (ist betrunken)
de Steeveln sĂĽnd hungrig (zerrissen)

(ursprĂĽnglich Abschnitt 72 in Meyers Buch “Unsere Plattdeutsche Muttersprache”)