5.11 Attributsätze

Im Plattdeutschen wird ein Nomen gerne durch ein einfaches Attribut näher bestimmt:

De groot Deern
de roden Blomen

Dadurch entsteht eine Trennung von Artikel und Nomen. Diese Trennung ist im Plattdeutschen immer kurz und einfach, ohne eine lange Kette von Worten. Ein Satz z. B. wie

De grote, lange, mit hoge Knicken insüümte un mit roden Klever bewussene Koppel weer sin ganze Freud

ist nicht typisch niederdeutsch, sondern dem Hochdeutschen nachempfunden. Das gleiche gilt, wenn das Attribut den Wert eines Satzes erhält. Die Beziehungen zwischen dem Nebensatz und seinem Hauptsatz wird dann durch ein Relativpronomen ausdrückt. Dabei bleibt der Nebensatz immer einfacher Art. Die Beziehung zum Gedanken des Hauptsatzes tritt klar hervor:

Se sitt as en Bruut, de nüms haaln will
En Katt, de sik vör’t Musen schaamt, mutt hungern
It is ein quaat borne, de neinen dorst leschet (Tun. 80)1
Heren setten ede af, de se nicht holden wilt (Tun. 77)1

Vielfach findet man sogar noch die ursprüngliche Form nebengeordneter Hauptsätze:

He is so klook as uns’ Naver sien Kater, de kann Gras wassen hüürn
He is so egen as Jehann Held, de schull an’n Galgen un wull ni
Op den Wall wussen Hasselstück, de snee he sik un ree dorop (Gr. 3, 6)2
Dat is ja sin Spruch, den mag he jümmer geern mal anbringen (Tr., A. 93)3

Sehr beliebt sind im Plattdeutschen mit wat eingeleitete Attributsätze:

Dor brennt den König, wat de Königsdochder ehr Vader is, den sin Sloss brennt af (W. 206)4

As en lüttj Göör harr ool Hans Hinnerk Klaaßen, wat ehr Ohm weer, ehr to sik nahmen (Tr., A. 8)3

Immer bleibt der attributive Relativsatz einfach und kurz. Insbesondere werden Häufungen solcher Sätze vermieden und dafür lieber beigeordnete Hauptsätze gewählt. Aber selbst der bekannte niederdeutsche Schriftsteller J. H. Fehrs geht mitunter über das Maß des Zulässigen hinaus:

Se […] nimmt flink en annern Ammer, üm de Zeeg to melken, de iewrig an Gras un Kruut kaut, wat ehr eeben vörsmeeten is (F. 2, 228)5

Hanni […] schuult scholu na sin Vader röver, de sien Dweersack vörsichtig op de ool Specklaad sett, de an de Deel steiht (F. 2, 229)5

De dree Fruuns keken sik üm na en Wagen, de lank de Dörpstraat jaag, graad op de Hökerkaat to, de in en Gavel von twee Weeg stunn (F. 3, 14)6

Bei Klaus Groth findet sich z. B. folgender Satz:

Aver mi leet he gliek vun den Lehrjung, de achter en Barg Eer, so hoch as de Kachelaben, de merrn inne Warksteed as en Heudiem opricht weer, op en Eenbeen huuk, un mit en krumm Schaafmess mit twee Griffen den Barg allmähli in dünne Spöön opsnee – wegen de Steen darin, de he utsöch un wegen de Mischung – en Platz op den langen Föhrndisch afrümen un en Stück weke Eer as en halben Kopp groot dorop leggen (Gr. 4, 14)7

Relativsätze sollten nur dann verwendet werden, wenn sie tatsächlich den Wert eines Attributs haben. Sie können ihrem attributiven Wesen nach nur die Eigenschaft einer Person oder Sache angeben. Sie bezeichnen eine Ruhepause im Verlauf der Erzählung und dürfen nicht den Fortschritt der Handlung bezeichnen. Einen neuen Gedanken sollte man daher im Plattdeutschen nicht durch einen Relativsatz ausdrücken.

Für Orts- und Zeitbenennungen wird im Plattdeutschen oft statt des Relativpronomens das Adverb wo verwendet:

Dat weer en Tiet, wo de Minsch dörchsichtig woor bet op sin letzten Blootsdrapen (Gr. 3, 53)2

De Schiev woor mit de nakelte Foot stoppt, as en Wagenrad, wo man inne Speken faat (Gr. 4, 13)7

Dat is en Saak, wo se sik nich dwingen lett un wo ik ehr ok nich dwingen mag (M., T. 40)8

He […] driggt de Büx in halflang Steveln, wo op jede Siet de Strippen as en poor Uhren afstaht (Kl., L. 1, 195)9

Ist das Beziehungswort von einer Präposition abhängig, wird ebenfalls das relative Adverb wo gebraucht, dem die Präposition getrennt nachfolgt. Das Plattdeutsche verwendet keine Zusammensetzung von Wörtern wie „woraus, womit, wobei“. Stattdessen werden die Wortbestandteile getrennt, und das das „wo“ bezieht sich sich auch auf Personen, nicht nur wie im Hochdeutschen auf Dinge:

He is’n Mann, wo du di op verlaten kannst (nicht: ‘worop du di’ oder ‘op den du di’

Dor seeg ik ok öfters Klaas Foot, wo ik nu opmarksam op woorn weer (Gr. 4, 30)7

Dat Slimmste weern eerst de, wo noch Leeben un Stimm in weer! (Gr. 3, 61)2

Dat weer nu en Mann, wo sick ’n vernünftig Woort mit snacken leet (Tr., L. E. 27)10

Se sünd en ganz kloke un vernünftige Fro, wo ik heel groten Respekt vör heff (Tr., Br. L. 48)11

Denn dreep se ok al wedder een’n, nem se mit snacken müss (KL, Bl. 152)12

Man kunn den langen Torn sehn, wo de Landvaagt jeden Abend op to ree (Gr. 3, 3)2

Man gung in en Grootdoer, wo blot de ünner Hälft vun apen keem (Gr. 3, 17)2

In de Tiet, wo ik nu vun vertelln will, weer dat en grote, slanke, smucke Diern (Tr., A. 8)3

Links leeg ’n origen Barg, wo de Kark op stünn (Tr., L. E. 29)10

Se lä ehr Knütthaas, wo se bet herto an arbeit harr, op’n Disch (F. 3, 31)6

Dat Koornfeld, wo sik de Wind in weegt … (F. 2, 168)5

Sehr häufig finden sich im plattdeutschen Schrifttum die untypischen ungetrennten Formen:

Ik heff […] em veel anschünnt, woran he gorni dach (F. 2, 80)5

Dat is nu würklich mal en Heiraat, woröwer man sik freun kann! (F. 3, 263)6

Dat Hart kann sik voll drinken von Sünnschien un Schöönheit, wovon de Welt nu rein voll is (F. 4, 55)13

Noch untypischer sind die Verbindungen der Präposition mit dem Relativpronomen unter Ausschaltung des adverbialen wo:

De Mann, op den he wies, keem densülwigen Weg (Gr. 4, 128)7

Langsam gung he dorvun … de ool Mann, vör den noch dat Leeben en Rätsel weer (Gr. 4, 131)7

… en lütten Goorn, ut den sik wat maken lett (F. 2, 306)5

Em weer de Dood en Fründ, op den he lang luurt harr (F. 3, 132)6

Se harr nu nüms, gegen de se sik utspreeken kunn (F. 3, 168)6

He leet den Busch los, bi den he sik anfaat harr (F. 2, 316)5

De Mütz hangt in en Wichelbusch, achter den he woll stahn un op den Wagen luurt hett (F. 3, 279)6

Um Anfangs- oder Zielpunkt einer Bewegung anzudeuten, wird im Plattdeutschen oft das Wort dor hinzugefügt. Es dient dazu, die Wiederholung einer vorher gebrauchten Aussage oder eines vorausgegangenen Nomens zu vermeiden und bildet zusammen mit einer getrennt davon stehenden Präposition ein Relativadverb:

He maakt en Gesicht, dor kann’n Katten un Müüs mit bang maken

So ’n ooln Snack, … dor geev ik nix op (Tr., Br. L. 37)11

So’n ool patterwalsche Spraak, dor kann ja keen vernünftige Minsch ut klook warrn! (Tr., Br. L. 49)11

Düsse Nacht is nett, heel nüüdlich, dor warr ik an denken! (F. 3, 62)6

Un wat ehr gefallt, dor is he achter her (F. 3, 221)6

Dat Minsch mag ik dor ni mank hebben (F. 4, 51)13

Eigentümlich ist dem Plattdeutschen der Gebrauch der Präposition „mit“, wenn es zusammen mit einem nachfolgenden Nomen und Adverb einen Satzteil bildet, der im Hochdeutschen (außer in der norddeutschen Umgangssprache) nur durch einen Attributsatz wiedergegeben werden kann:

… en breden Mann mit en Jack an (Gr. 4, 14)7
… en Hoot op mit en iesern Band in (Gr. 4, 115)7
Sien Grootmoder geev em Kaffe mit Zucker in (Gr. 3, 5)7
… de Huuspostill mit de grote grave Schrift in (M., T. 52)8
Herin kümmt en öllerhafte Fru mit en Bündel ünnern Arm (F. 4, 61)13

Auch die Art und Weise wird in dieser Form ausgedrückt:

He seet mit den Hoot op (Gr. 3, 236)2
Wipen keem rin mit en witten Kökenplaten vör (Tr., Br. L. 19)11
As he sik ümkiekt, steiht Telsch dor mit beide Hannen in’e Siet (F. 3, 61)6

Im Angler Platt wird das Relativpronomen in Attributsätzen oft ganz weggelassen:

Ave, dat is nich dit, ik wull vetellen (J. A. 4)14
Heinrich IV. weer een funne edelste un beste Fürsten, dor sind west in Sleswig-Holsteen (J. A. 13)14
Dat maakt wull de schöne, warme Reegen, wi harrn vorgestern (J. A. 28)14
Ik heff richtig nuch en Peerd, ik schall mit to Huus hem (J. A. 67)14

(ursprünglich Abschnitt 109 in Meyers Buch “Unsere Plattdeutsche Muttersprache”)


  1. Antonius Tunnicius, älteste niederd. Sprichwörtersammlung 1514 (1854) 
  2. Groth, Gesammelte Werke, Kiel 1893 (Unveränderte Nachdrucke 1898, 1909, 1913, 1918, 1920): Band 3 
  3. Paul Trede, Abel, Garding 1880 
  4. Wisser, Plattdeutsche Volksmärchen, Jena 1914 
  5. Fehrs, Gesammelte Dichtungen in vier Bänden, Hamburg 1913: Band 2 
  6. Fehrs, Gesammelte Dichtungen in vier Bänden, Hamburg 1913: Band 3 
  7. Groth, Gesammelte Werke, Kiel 1893 (Unveränderte Nachdrucke 1898, 1909, 1913, 1918, 1920): Band 4 
  8. Mähl, Tater-Mariken, Altona 1869 
  9. Kloth, De Landrathsdochder, Garding 1885 
  10. Paul Trede, Lena Ellerbrok, Garding 1884 
  11. Paul Trede, Brochdörper Lüd, Garding 1890 
  12. Kinau, Blinkfüer, Hamburg 1918 
  13. Fehrs, Gesammelte Dichtungen in vier Bänden, Hamburg 1913: Band 4 
  14. Jihann Aadulf un sien Lüd. Dresden u. Leipzig 1910